Achtsamkeit

“Die beste Weise, sich um die Zukunft zu kümmern, besteht darin, sich sorgsam der Gegenwart zuzuwenden.” - Thích Nhat Hanh

 

Der Begriff Achtsamkeit wird heute sehr häufig verwendet. Gleichzeitig bekommt er sehr unterschiedliche Bedeutungen. Grundsätzlich bedeutet Achtsamkeit im Hier und Jetzt zu sein – nicht nur körperlich, sondern auch mental. Das ist für die meisten Menschen in unserer hektischen und technisierten Welt kein Normalzustand. Viele hängen mit ihren Gedanken entweder in der Vergangenheit fest, beschäftigen sich mit Sorgen oder denken über die Zukunft nach. Oft ist das Leben durch unnatürliche Rhythmen, Verhaltensweisen und digitale Einflüsse dominiert, so dass ein Hier und Jetzt sein, ein bei sich sein, nicht mehr möglich erscheint.

Achtsamkeit

Achtsamkeit (englisch “mindfulness”) bezeichnet einen Zustand von Geistesgegenwart, in dem ein Mensch hellwach die gegenwärtige Verfasstheit seiner direkten Umwelt, seines Körpers und seines Gemüts erfährt, ohne von Gedankenströmen, Erinnerungen, Phantasien oder starken Emotionen abgelenkt zu sein, ohne darüber nachzudenken oder diese Wahrnehmungen zu bewerten.

Achtsamkeit kann demnach als Form der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustand verstanden werden, als spezielle Persönlichkeitseigenschaft oder als Methode zur Verminderung von Leiden (im weitesten Sinne).

Konkret hilft Achtsamkeit einem Menschen, mit sich selbst in Kontakt zu kommen, seine aktuelle Befindlichkeit und seine Bedürfnisse zu erkennen, Störfaktoren des Wohlbefindens zu erkennen, anzunehmen und zu bewältigen.

Historisch betrachtet ist “Achtsamkeit“ vor allem in der buddhistischen Lehre und Meditationspraxis zu finden. In der westlichen Kultur ist das Üben von “Achtsamkeit“ insbesondere durch den Einsatz im Rahmen verschiedener Psychotherapiemethoden bekannt geworden. Der Begriff Achtsamkeit wird außerdem im Rahmen der Care-Ethik für eine Praxis der Zuwendung verwendet.

 

Achtsamkeit in der modernen Psychologie

In der modernen Psychologie spielt Achtsamkeit eine zentrale Rolle. In vielen Therapierichtungen wird sie, eingebettet in therapeutische Programme, sowohl als Weg zur Gesundung eingesetzt als auch als Ziel oder Lebensstil angesehen.

Einer der bedeutendsten psychologischen Vertreter ist Jon Kabat-Zinn. Er hat in seinen MBSR-Programmen (mindfull based stress reduction) die Achtsamkeit in den Mittelpunkt gestellt.

Er definiert Achtsamkeit als eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die

  • absichtsvoll ist,

  • sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht (statt auf die Vergangenheit oder die Zukunft), und

  • nicht wertend ist.

Daneben gibt es noch weitere Psychologen und psychologische Denkschulen, die sich die Achtsamkeit auf die Fahnen geschrieben haben.

 

Abgrenzung der Achtsamkeit von Konzentration

Achtsamkeit kann klar von Konzentration unterschieden werden. Konzentration besteht darin, sich aufmerksam auf ein bestimmtes Objekt oder einen Objektbereich wie etwa eine Schriftzeile einzustellen, darauf seinen Blick zu fokussieren und seine ganze Aufmerksamkeit für diesen begrenzten Bereich seiner Wahrnehmung aufzuwenden. “Achtsamkeit“ hat eine dazu entgegengesetzte Ausrichtung. Hier wird der Fokus der Aufmerksamkeit nicht gezielt eingeengt, sondern vielmehr weit gestellt. Im Idealfall wird eine umfassende Aufmerksamkeit erreichbar, die in einer umfassenden, klaren und hellwachen Offenheit für die gesamte Fülle der Wahrnehmung besteht.

Von Chögyam Trungpa wurde dieser Bewusstseinszustand als Panorama-Bewusstheit charakterisiert und bezeichnet. Eine derart auf offene Weite (bodhidharma) ausgerichtete Achtsamkeitspraxis (oder Achtsamkeitsmeditation) führt deswegen nach und nach zu so “vollständiger“ Aufmerksamkeit, dass traditionell von “rechter“ oder “vollkommener Achtsamkeit“ die Rede ist, ein Zustand hellwacher Geistesgegenwärtigkeit oder Präsenz, “in dem der Geist weit ist wie das Firmament“ – extrem klar, lebendig und transparent.

Kabat-Zinn hat in seinem Buch Im Alltag Ruhe finden folgende Beschreibung von Achtsamkeit gegeben: “…so intensiv und befriedigend es auch sein mag, sich in der Konzentration zu üben, bleibt das Ergebnis doch unvollständig, wenn sie nicht durch die Übung der Achtsamkeit ergänzt und vertieft wird. Für sich allein ähnelt sie (die Konzentration) einem Sich-Zurückziehen aus der Welt. Ihre charakteristische Energie ist eher verschlossen als offen, eher versunken als zugänglich, eher tranceartig als hellwach. Was diesem Zustand fehlt, ist die Energie der Neugier, des Wissensdrangs, der Offenheit, der Aufgeschlossenheit, des Engagements für das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrung. Dies ist die Domäne der Achtsamkeitspraxis…“

 

Achtsamkeit im Buddhismus

Achtsamkeit (Pali: sati, Sanskrit: smrti) liegt als eine – das menschliche Dasein mit seinem Körper, seinen Gefühlen und seinem Geist betrachtende – meditative Grundpraxis allen buddhistischen Schulen zu Grunde, wird aber insbesondere in der burmesischen theravada-Tradition überliefert, gelehrt und geübt. sati beschreibt die Qualität des Geistes, sich in vollem Umfang dessen gewahr zu sein, was in ihm gegenwärtig ist. Wobei samma sati, oder rechte Achtsamkeit, sich abgrenzt von bloßer Aufmerksamkeit. “Richtig“ oder “vollständig“ (samma) heißt hier, dem Erlangen des Zieles der Befreiung vom Leiden dienend und genügend. Auch wenn heute vielerlei Achtsamkeitsübungen unter dem Label "Buddhismus" angeboten werden, sind viele davon nicht wirklich im Einklang mit der buddhistischen Lehre und Praxis.

Drei Lehrreden des Buddha, das anapanasati sutta (über die Achtsamkeit beim Atmen), das satipatthana sutta (über die Grundlagen der Achtsamkeit; sowie das inhaltsgleiche aber erweiterte mahāsatipatthāna sutta) in der majjhima nikaya sowie digha nikaya des suttapitaka, beschreiben die Achtsamkeit und ihre Praxis. Die “vier Grundlegungen der Achtsamkeit” sind nach dem satipatthana sutta:

  1. die Achtsamkeit auf den Körper

  2. die Achtsamkeit auf die Gefühle/Empfindungen (Bewertung als wohl, weh oder weder-wohl-noch-weh)

  3. die Achtsamkeit auf den Geist (dessen aktueller Zustand bzw. Veränderungen des Zustands, z.B. abgelenkt, konzentriert, verwirrt)

  4. die Achtsamkeit auf die Geistesobjekte (d.h. alle äußeren und inneren Objekte/Dinge, die im Moment wahrgenommen werden).

Die Achtsamkeitsmeditation wird im Buddhismus auch als vipassana bezeichnet. Sie kann abgegrenzt werden von der konzentrativen Meditation (samatha), welche die Grundlage der Achtsamkeitsmeditation darstellt.

Achtsamkeit ist das 7. Glied des Edlen Achtfachen Pfades, der erste Punkt der Sieben Faktoren des Erwachens sowie die dritte Fähigkeit der insgesamt Fünf Fähigkeiten: Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Sammlung, Weisheit.

 

Achtsamkeit in der westlichen Medizin und Psychologie

Ab den 1960er Jahren nahm das Interesse am Einsatz von Meditationstechniken im Bereich der Psychotherapie zu, vor allem unter Psychoanalytikern (z. B.C.G. Jung, Erich Fromm) und Vertretern der humanistischen Psychotherapie (z.B. Fritz Perls, Carl Rogers, Charlotte Selver). Aspekte der Achtsamkeit und Akzeptanz wurden dementsprechend in die Psychoanalyse, die Gestalttherapie, die klientenzentrierte Psychotherapie und die Methode des Focusing, in die Gestalttheoretische Psychotherapie sowie in körperorientierte Verfahren integriert.

Erste wissenschaftliche Studien zum Einsatz von Achtsamkeitsmeditation im Bereich der Psychotherapie wurden ab den späten 1970er Jahren durchgeführt. Einen entscheidenden Einfluss hatte hierbei die Arbeit von Jon Kabat-Zinn, der Achtsamkeitstechniken (inzwischen bekannt als Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion oder MBSR) zunächst bei Patienten mit chronischen Schmerzen einsetzte. Seitdem nahm das Forschungsinteresse an dem Thema stetig zu, und es wurden auch verschiedene andere (überwiegend kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierte) Therapieansätze entwickelt.

Inzwischen wird das Prinzip der Achtsamkeit im Rahmen der Therapie oder Prävention einer Vielzahl verschiedener psychischer und körperlicher Störungen bzw. Probleme eingesetzt. Auch erfährt Achtsamkeit als Thema zunehmende Bedeutung in der interdisziplinär angelegten Ratgeberliteratur zur Stressbewältigung wie auch im gesundheitstouristischen Sektor.