Die wichtigsten Yogastile im Überblick
Seitdem Yoga, von Indien aus, die westliche Welt erobert hat, haben sich viele Yogastile mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt. In diesem Artikel findest du einen Überblick über die wichtigsten Yogastile.
1) Grundsätzliche Überlegungen vorab
Yoga zeichnet sich durch seine unfassbare Vielfalt aus. Mit der Zeit haben sich viele Yogastile herausgebildet, viele verschiedene Herangehensweisen und unterschiedliche Schwerpunkte.
Grundsätzlich beziehen sich alle Yogavarianten und yogischen Lebensweisen auf denselben Ursprung, Schriften, Traditionen. Die unterschiedlichen Schwerpunkte haben sich herausgebildet, da Yoga sehr flexibel auf menschliche Bedürfnisse, den Zeitgeist und körperliche Voraussetzungen eingehen kann. Schaut man sich die lebenslange Entwicklung eines Menschen an, wird sehr schnell deutlich, dass ein heranwachsender Mensch andere Zugangswege und Ausdrucksmöglichkeiten hat, als ein alter Mensch, der auf ein langes und erfülltes Leben zurückblicken kann. So kann in einer Lebensphase ein dynamischer und fordernder Yogastil passen, in einer anderen Lebensphase hilft dann wiederum eine sanfte Asana-Praxis, und zu einer anderen Lebensphase ist vielleicht das Chanten oder Philosophieren wichtig.
Diese Vielfalt des Yoga fordert daher dazu auf, sich immer wieder aktiv mit Yoga und mit der eigenen Praxis zu beschäftigen, immer wieder zu überlegen und ausprobieren, was ist gerade gut für mich und wo finde ich dies.
Wichtig beim Yoga: Chemie mit dem Lehrer
Wichtiger noch als der Stil ist, dass die Chemie mit dem Yogalehrer stimmt. Du solltest das Gefühl haben, ihm völlig vertrauen zu können. Du musst sein Wohlwollen und seine Kompetenz spüren, um dich sicher zu fühlen, wenn du dich mit ihm auf die Yogareise begibst. Man wandert ja auch nicht mit einem Bergführer, dem man nicht vertraut.
Ob ein Lehrer oder eine Yoga-Art zu dir passen, zeigt erst die Zeit. Du solltest dich mindestens drei- bis viermal auf den Unterricht einlassen, denn möglicherweise ist das Angebot eigentlich perfekt für dich, entspricht aber beim ersten Versuch vielleicht nicht deiner Tagesform. Yoga braucht auch immer ein paar Stunden, um seine Wirkungen voll zu entfalten. Was dir guttut, weißt du also nicht direkt nach dem Kurs.
Dein Yogastil sollte dein persönliches Temperament ergänzen
Bedenke bei deiner Yogastil-Wahl: Gut tut, was fordert.
Als Einstieg ist es sicher sinnvoll, Yoga auf die Art zu praktizieren, die spontan gut zu dir passt. So kann man ein Gefühl für die Asanas und den eigenen Körper bekommen. Dann sollte aber eine Weiterentwicklung angestrebt werden.
Wer sich gern viel und schnell bewegt, wird sein Potenzial nur bedingt entfalten können, indem er einen besonders dynamischen Yogastil auswählt. Denn er wählt das, was er kennt und eigentlich schon kann. Geeignet ist eher die energetische Ergänzung zum eigenen Temperament, etwa Yin Yoga oder Long, Slow, Deep-Stunden, in denen die Positionen lang gehalten werden. Das Schnelle, Dynamische kennt dein Gehirn schon – hier aber gibt es etwas zu lernen, hier liegt die Herausforderung.
Umgekehrt gilt genauso, wer zu Trägheit neigt, kann sich und sein Leben mit dynamischem Yoga in Bewegung bringen.
Um deine Fähigkeiten voll auszuschöpfen, solltest du im Laufe deines Lebens deine unbekannten Facetten entdecken und entwickeln. Wage das Neue, das Ungewohnte und lass dich überraschen!
2) Die verschiedenen Yogastile im Überblick
Hatha-Yoga
Hatha-Yoga ist die im Westen bekannteste Form des Yoga, die schon seit über 50 Jahren angeboten wird. Aus den Lehren des Hatha-Yoga haben sich viele nachfolgend beschriebenen Stile, Traditionen und Schulen entwickelt. So gehören sanfte und kraftvolle Techniken, einfache Körper-Wahrnehmungsübungen und hochkomplexe Körperhaltungen, Atemübungen oder Konzentrationen zu Hatha-Yoga.
Hatha-Yoga umfasst Asanas sowie Bewegungsabläufe (Vinyasa oder Flow), Atemübungen (Pranayama), mentale Entspannungstechniken und Meditation. Alle Techniken des Hatha Yoga setzen am Körper an und führen weiter über den Atem zum Geist.
Vinyasa-Flow
Hier werden klassische Asanas zu immer wieder neuen, kreativen Bewegungsabfolgen zusammengestellt, sodass sich ein anstrengender, fließender Übungsstil (Flow) entwickelt. Es wird mit einer intensiven Atemführung und mit Musik geübt. Ein wichtiges Ziel ist es, die eigene Kraft und Lebendigkeit zu erfahren.
Bereichernd für alle, die ein intensives, schweißtreibendes Üben suchen, bei dem man besonders gut abschalten kann. Es gibt viele Verbindungen zu Hatha-Yoga.
Yin-Yoga
Beim Yin-Yoga kann man intensiv entspannen. Die Asanas werden in der Praxis sehr lange gehalten, mindestens zwei bis drei Minuten. So kann der Körper sich ganz in die Haltungen hinein entspannen, man kann loslassen und so tiefe Entspannung erfahren. Yin-Yoga dehnt besonders die Faszien bzw. das Bindegewebe. Ins Schwitzen kommt man bei diesem ruhigen Yogastil eher nicht, die Dehnungen können aber durchaus intensiv sein. Im Gegensatz zum Hatha oder etwa Iyengar-Yoga kommt es hier nicht auf eine exakte Ausführung der Asanas an, sondern darauf, dass es sich für dich gut anfühlt und die Pose ohne Anstrengung gehalten werden kann.
Besonders für sehr aktive Typen, denen es schwerfällt, sich zu entspannen, kann dieser meditative Yogastil perfekt sein – auch wenn es zunächst herausfordernd ist.
Kundalini-Yoga
Yogi Bhajan machte Kundalini-Yoga Ende der 60er-Jahre in den USA bekannt. Die Übungsreihen sind eine Kombination aus dynamischen Körperübungen, bewusster Atmung, geistiger Ausrichtung und Mantra-Meditation. Kundalini-Yoga ist oft sehr dynamisch, um unsere Lebensenergie (Prana) zu wecken. Dieser Übungsweg bezieht die Spiritualität und die Hingabe an den Guru ganz offen und bewusst mit ein.
Ashtanga-Yoga
Ashtanga-Yoga hat eine sehr kraftvolle, dynamische Ausrichtung. In Fitnessstudios findet man diese Form gelegentlich unter dem Namen Power-Yoga. Das Übungssystem besteht aus einer festgelegten Reihenfolge, die jeweils mit Bewegungselementen verbunden ist. Dieser Bewegungsfluss wird mit einem gleichmäßigen Atem begleitet, wodurch das Üben einen sehr meditativen Akzent bekommt. Die Reihenfolge ist so aufeinander abgestimmt, dass nacheinander alle Körperteile aktiviert und gedehnt werden. Man kann sehr gut abschalten und kommt ordentlich ins Schwitzen.
Sportlich ambitionierte Menschen mit guter Kondition, die eine klar strukturierte Praxis suchen, finden oft im Ashtanga ihr Yoga-Glück. Diese Richtung erlaubt es auch schnell, selbstständig zu üben.
Iyengar-Yoga
Kraftvolles Üben findet sich im Iyengar-Yoga, das sich durch äußerst genaue Ansagen auszeichnet und so einen hohen Grad an Präzision ermöglicht. Es wird teilweise mit Hilfsmitteln (Props) wie Holzblöcken, Decken und Gurten gearbeitet, um die Ausführung komplexer Asanas auch für Anfänger und Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu ermöglichen. Da die exakte Ausführung der Übungen im Vordergrund steht, sind spirituelle Ansätze eher indirekt während der Praxis zu finden und spielen bei manchen Lehrern eine untergeordnete Rolle.
Iyengar-Yoga ist für diejenigen eine gute Wahl, die sich körperlich fit fühlen und die auch entspannen können, wenn man ihnen ganz klar sagt, was zu tun ist.
Jivamukti-Yoga
Jivamukti-Yoga ist ein kraftvoll dynamischer, schweißtreibender Stil, der 1984 in den USA von Sharon Gannon und David Life entwickelt wurde. Die Übungen werden fließend geübt und von Musik begleitet. Typisch ist, dass der Lehrer die Schüler mit Körpereinsatz korrigiert. Darüber hinaus rezitiert der Yogalehrer aus altindischen Schriften, spricht über Philosophien oder Lebensweisheiten. Mantren und Meditation gehören ebenfalls zur Übungspraxis dazu, außerdem wird Wert auf einen gewaltfreien und veganen Lebensstil gelegt.
Interessant für Menschen, die neben einer intensiven, fließenden Yogapraxis mehr über die Yoga-Philosophie lernen möchten und eine Yoga-Gemeinschaft suchen.
Sivananda-Yoga
Der Fokus ist bei Sivananda-Yoga eher meditativ und spirituell. Im Mittelpunkt der Übungspraxis stehen die zwölf Asanas der Rishikesh-Reihe, die immer in der gleichen Reihenfolge ausgeführt werden. Die Asanas dieser Reihe sind teilweise sehr anspruchsvoll. Durch die Konzentration auf die Atmung und die Energiezentren kommen die Gedanken zur Ruhe. Mantras und Gebete sind fester Bestandteil der Praxis.
Wer nach einer ganz klar strukturierten Yoga-Praxis üben möchte und bereit ist, sich auch auf weltanschauliche Aspekte des Yoga einzulassen, kann im Sivananda seinen Platz finden.
Anusara-Yoga
Kraftvolle Hatha-Variante, die 1997 von dem US-Amerikaner John Friend entwickelt wurde. Sie stützt sich – basierend auf dem Tantra-Konzept – auf eine lebensbejahende Philosophie, die das Gute in allen Menschen und Dingen sieht. Bei der Ausführung der Asanas steht zum einen die exakte Ausrichtung im Mittelpunkt – John Friend arbeitet viel mit modernen bio-mechanischen Prinzipien. Zum anderen liegt der Fokus auf der Herzöffnung. Ideal für gesunde, bewegungsgeübte Anfänger und Fortgeschrittene.
3) Weitere Yogaschulen
Jnana-Yoga
Yoga des Wissens und der Erkenntnis. Ziel ist das Erlangen der höchsten Wahrheit. Grundlage ist unter anderem die Bhagavadgita, die drei Formen der Erkenntnis kennt: sattvika (unveränderliche Wirklichkeit in allen Wesen), rajasa (in allen Wesen werden vielfältige Wesenheiten gesehen – aber keine Einheit) und tamasa (unabhängig von jeder Wahrheit gibt es nur eine Erscheinungsform).
Kriya-Yoga
Mit Kriya-Yoga werden mehrere Stile bezeichnet:
1. Yogastil gemäß Patanjalis Yogasutra 2.1.: Tapas (Askese, spirituelle Praktiken, geistige Übungen, Selbstbeherrschung), Svadhyaya (Selbststudium der wichtigen Schriften) und Ishvara-Pranidhana (spirituelle Grundhaltung in allem Sein) sind die Eckpunkte dieser Yogarichtung. Sie haben zum Ziel, die Kleshas (Leidursachen) zu schwächen und zu Samadhi (Sammlung, Einheitserfahrung, überbewusster Zustand) zu führen.
2. Von Paramahamsa Yogananda etablierter Yogastil. Er wird nur vom Lehrer direkt an den Schüler weitergegeben. Liebe, Erkenntnis und Schriften sind die Grundlage.
3. Von Satyananda Sarasvati entwickelte Übungsform des Hatha Yoga.
Tibet-Yoga oder Lu-Jong
Die tibetische Bewegungslehre Lu Jong entstand vor rund 600 Jahren durch tibetische Mönche. Lu bedeutet Körper und Jong Übung. Die Mönche lebten als Eremiten in den Bergen Tibets. Sie waren von jeglicher ärztlichen Versorgung abgeschnitten. Darum entwickelten sie aus ihrem uralten medizinischen Wissen spezifische Körperübungen, mit deren Hilfe sie Leib und Seele gesund hielten. Entsprechend sind im tibetischen Heilyoga die tiefen Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Natur, Körper und Geist vereint.
Kum-Nye
Eine weitere Form des tibetischen Heilyoga, Kum-Nye genannt, ist eine traditionsreiche Übungszusammenstellung für die Erholsamkeit, den Abbau der Energieblockaden und die Stimulation des körperlichen sowie psychischen Energieflusses. Seine Entstehung verdankt das System verschiedenen Behandlungsansätzen, darunter dem Yoga der Feinstoff Energien (nying-thig tsa-lung) oder der Medizin der tibetischen Heilkunde.
Marma-Yoga
Marma-Yoga wurde in den 1970er Jahren von Rocque Lobo entwickelt. Als Gesundheitspädagoge verband er Yoga und Ayurveda und entwickelte ein Yogasystem, welches präventiv in der Gesundheitsförderung ansetzt.
Luna-Yoga
Luna-Yoga ist ein eigenständiger aus der Frauenbewegung heraus entstandener Yogastil, von Adelheid Ohlig in den 1980er Jahren entwickelt. Luna-Yoga als neu belebte Körperkunst setzt sich aus Techniken der altindischen Weisheitssysteme wie dem Yoga, Tantra und Ayurveda zusammen und verbindet diese mit modernen Körpertherapien. Die Haltungen, Stellungen, Bewegungen und Atemlenkungen wirken belebend auf Körper, Geist und Seele.
Sahaga-Yoga
Sahaja Yoga versteht sich als religiöse Bewegung, die Elemente des Yoga aufgreift. Sie arbeitet mit Meditationstechniken, zielt auf die Erweckung von Kundalini und wird begleitet durch die Erfahrung eines gedankenfreien Bewusstseins oder mentaler Stille. Nirmala Srivastava hat diese Lehre entwickelt.
Diese Zusammenstellung stellt nur eine Auswahl aus der großen Bandbreite der heutigen Yogastile dar. Viele dieser Yogastile sind aus dem Bedürfnis der westlichen Gesellschaft entstanden oder weiterentwickelt worden. In Indien selbst und in ganz Asien wird oft sehr anders mit Yoga und der damit verbundenen Lebenseinstellung umgegangen.
Für den westlich geprägten Yogi ist meist die körperliche Anforderung ein zentraler Punkt der Praxis. Hier muss darauf geachtet werden, dass die persönliche Praxis nicht bei einem „Sportprogramm“ bleibt. Meditative Elemente, innere Haltung, philosophische Gedanken, eine ganzheitliche Praxis (Atem, Körper, Geist), das Chanten von Mantras sind wichtige Elemente, die eine Praxis zu Yoga werden lassen.